Bei Anschaffung einer Immobilie (Grund und Boden sowie Gebäude) wird im Kaufvertrag häufig ein Gesamtkaufpreis vereinbart. Wird die erworbene Immobilie dann zur Erzielung steuerpflichtiger Einkünfte genutzt, zum Beispiel indem das Gebäude an Dritte vermietet wird, ist der Kaufpreis zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die Absetzung für Abnutzung (AfA) aufzuteilen. Dafür sind zunächst der Wert von Grund und Boden sowie der des Gebäudes gesondert zu ermitteln. Danach sind die Anschaffungskosten entsprechend dem Verhältnis der beiden Wertanteile aufzuteilen.
Zwischen dem Finanzamt und einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) entbrannte ein Streit darüber, wie der Kaufpreis für eine von der GbR erworbene, an der Ostsee gelegene Eigentumswohnung (ETW), die Vermietungszwecken dienen sollte, aufzuteilen sei. Erworben wurde die ETW für 158.500 € zuzüglich Anschaffungsnebenkosten von 14.013 €. Nach Meinung der GbR entfielen 84 % der Anschaffungskosten auf das Gebäude (bzw. den Gebäudeanteil, da es sich nur um eine von mehreren Wohnungen im Gebäude handelte). Mit diesem Wertansatz war das Finanzamt nicht einverstanden. Es ermittelte den Wert des Gebäudeanteils seinerseits im sogenannten vereinfachten Verfahren nach der Arbeitshilfe des Bundesfinanzministeriums und kam lediglich auf einen Wertanteil von 54 %.
Die GbR klagte gegen den Wertansatz des Finanzamtes vor dem Finanzgericht (FG) Hamburg, weil sie davon ausging, dass die Bewertung nach dem von ihr bevorzugten Ertragswertverfahren möglich sein müsse. Das Finanzamt hatte seine Bewertung stattdessen nach dem Sachwertverfahren vorgenommen.
Das FG Hamburg wies die Klage ab, weil es davon ausging, dass bei selbstgenutzten und vermieteten Eigentumswohnungen im Privatvermögen sowie bei Mehrfamilienhäusern grundsätzlich das Sachwertverfahren bei der Wertermittlung anzuwenden sei, zumal für den Kauf von solchen Immobilien neben Ertragsgesichtspunkten vor allem ein längerfristiger steuerfreier Wertzuwachs ausschlaggebend sei. Der Rückgriff auf das Ertragswertverfahren sei nur im Ausnahmefall möglich, nämlich dann, wenn dieses die tatsächlichen Wertverhältnisse besser abbildet. Das FG Hamburg orientierte sich bei seiner Entscheidung an der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (Urteil 30.09.2020 – 3 K 233/18).
Das von der GbR angestrengte Revisionsverfahren vor dem Bundesfinanzhof (BFH) führte zur Aufhebung der Entscheidung der Vorinstanz. Der BFH stellte fest, dass im Streitfall die Anwendung des Ertragswertverfahrens zur Wertermittlung sachgerecht sei.
Für die Wertermittlung einer Immobilie könne, so das Gericht, die Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV) herangezogen werden, die unter anderem das Sachwertverfahren, aber auch das Ertragswertverfahren als mögliche Bewertungsverfahren aufführt. Die Verfahren stehen sich dabei gleichwertig gegenüber. Auch eine Kombination verschiedener Bewertungsverfahren sei möglich. Welches Verfahren letztlich zum Zuge kommt, hänge von der Art des Objekts ab. Zu berücksichtigen seien dabei die bestehenden Gepflogenheiten und die Umstände des Einzelfalls.
Dass im konkreten Fall das Ertragswertverfahren zur Wertermittlung herangezogen werden konnte, begründete der BFH wie folgt: In der Vergangenheit habe der BFH vor allem die Bewertung von Geschäftsgrundstücken im Ertragswertverfahren für angemessen gehalten und dabei auf deren Charakter als Renditeobjekte abgestellt. Heutzutage werden aber immer öfter auch reine Wohnimmobilien zuallererst als Renditeobjekte angesehen. Damit seien auch mit dem Erwerb von zur Vermietung bestimmtem Wohnungseigentum regelmäßig Ertragsüberlegungen verbunden. Demnach stehe der steuerfreie Wertzuwachs inzwischen nicht mehr (allein) im Vordergrund. Ergänzend merkte der BFH an, dass das Ertragswertverfahren in der Praxis heute am weitesten verbreitet sei.
Das FG Hamburg sei im Streitfall fälschlicherweise vom Vorrang des Sachwertverfahrens ausgegangen, so der BFH. Die Entscheidung der Vorinstanz stehe damit im Widerspruch zur BFH-Rechtsprechung, wonach die Wahl des Wertermittlungsverfahrens unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu treffen sei; ein genereller Vorrang einer Ermittlungsmethode bestehe insofern nicht. Der BFH führte weiter aus: Bei dem erworbenen Objekt handele es sich um eine zur Fremdvermietung bestimmte Ferienwohnung in einer beliebten Ferienregion. Solche Objekte werden gewöhnlich unter Renditegesichtspunkten erworben. Die Aufteilung des Kaufpreises sei daher nach Ertragswertgesichtspunkten vorzunehmen (Urteil vom 20.09.2022 – IX R 12/21).
News vom 05.04.2023